大家好!Dà jiā hǎo!
Heute bin ich genau in der Hälfte meines Austauschjahres - unglaublich! Die Zeit ist wirklich rasend schnell vergangen und wird es wahrscheinlich auch weiterhin. Passend zum heutigen Jubiläum habe ich mich ein bisschen mit Philosophie beschäftigt. Also nein, genau genommen nicht erst heute, sondern schon seit mehreren Monaten.
Es gibt Fragen, die scheinen auf den ersten Blick einfach zu sein. Man meint, zu wissen, was die Antwort darauf ist und man macht sich daher gar nie wirklich Gedanken darüber. Doch wenn man in die Situation kommt, wo man merkt, dass dem allem gar nicht so ist, dass man eigentlich gar nichts wirklich weiss, dann überlegt man sich, was denn nun die Antwort sein könnte und man findet irgendwie gar keine, die "richtig" zu sein scheint.
"Was ist Heimat?" Diese Frage ist für mich eben eine solche.An der Wand in einem der Geografiezimmer an meiner Schule in der Schweiz steht der Spruch: "Heimat ist dort, wo ich verstehe und verstanden werde." Vor ungefähr einem Jahr habe ich mir das erste Mal richtig überlegt, was der Autor damit sagen wollte. Ümmi, meine Freundin, die gerade ein Austauschjahr in Japan verbringt, meinte, dass wir damit ja nicht wirklich gute Aussichten hätten, uns in unseren Gastländern Japan und Taiwan zu Hause zu fühlen (zumindest anfangs nicht) - wegen der Sprache. Aber ist dem wirklich so? Gibt einem die Sprache das Gefühl von Heimat? Oder ist es eben auch das Gefühl, verstanden zu werden - nicht im Sinne von Sprache, sondern was in unseren Köpfen vorgeht, wie wir die Dinge im Leben sehen? Was ist Heimat überhaupt? Wo fühle ich mich zu Hause, was ist MEINE Heimat? Kann ich mich an mehreren Orten zu Hause fühlen, oder gibt es nur dieses eine, "wirkliche" zu Hause? So viele Fragen und so viele mögliche Antworten. Ich glaube, dass jeder für sich herausfinden muss, was Heimat für einem persönlich bedeutet. Vielleicht will man das gar nie herausfinden, weil man das Bedürfnis dazu nicht verspürt. Ich habe dieses Bedürfnis erst gespürt, als ich weg war von dem, was ich als meine Heimat beschrieben hätte. Ich denke, man macht sich erst Gedanken über seine Heimat, wenn man weg ist - weg von zu Hause. Aber ist nun zu Hause auch gleich Heimat oder nicht unbedingt? Friede, meine Austauschschülerfreundin aus Deutschland, meinte, dass "zu Hause" und "Heimat" etwas anderes sind. Zu Hause ist da, wo man momentan wohnt. Heimat ist dort, wo man herkommt, aufgewachsen ist. Ich stimme ihr da voll und ganz zu. Im Englischen aber gibt es meines Wissens kein separates Wort für "Heimat"; "Home" wird für beide Begriffe verwendet.
Ich denke aber auch, dass eine Person mehrere Heimaten haben kann. Wir Austauschschüler sind hier wahrscheinlich ein Paradebeispiel, denn schon jetzt ist unser Austausch-Land zu unserer zweiten Heimat geworden. Vielleicht sind unsere Heimaten einfach die Orte, die uns über die Zeit verändert haben, uns zu dem gemacht haben, was wir heute sind.
Man kann sich wahrscheinlich überall zu Hause fühlen und es irgendwann aus seinem Innern heraus als Heimat bezeichnen. Ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit, Glück und Zufriedenheit. Aber kann man denn nicht auch glücklich sein, wenn man nicht in seiner Heimat ist? Doch, natürlich! Und umgekehrt - dass man auch nicht glücklich sein kann, obwohl man da ist? Heimat muss also nicht zwingend glücklich sein bedeuten.
Alex meinte einmal, dass er sich wahrscheinlich überall zu Hause fühlen könnte - er brauche einfach nur seine Freunde. Und ich denke, ich weiss sehr genau, wie er das meint, denn Freunde sind unglaublich wichtig, das merke ich auch in Taiwan. Und auch wenn Alex mir teilweise auf die Nerven geht, weil wir uns einfach fast schon wieder zu oft sehen (in einem kleinen Ort wie Nantou mit nur zwei Austauschschülern, an dem die Mitschüler fast nie Zeit haben, etwas zu unternehmen, auch kein Wunder), bin ich doch auch dankbar, so einen guten Freund gefunden zu haben. Und auch die anderen Austauschschüler sind wie eine Familie, denn sie verstehen einem immer, da sie in der gleichen Situation sind. Denn nicht nur die Freunde sind entscheidend, sondern auch die Familie (vorausgesetzt man hat ein gutes Verhältnis). Auf Chineisisch ist das Wort für Familie "jiā tíng (家庭)" und jenes für zu Hause "jiā lǐ (家裡)". Hier sieht man, wie die beiden Worte zusammenhängen. Auch die sehr häufige Begrüssungsformel "dà jiā hǎo (大家好)", welche ich am Anfang dieses Posts verwendet habe, spiegelt es wider. Es bedeutet "Hallo, grosse Familie" und bezeichnet somit alle angesprochenen Mitmenschen als Familie und führt somit zu einer Gemeinschaft.
Für mich persönlich denke ich, dass ich mich überall auf der Welt zu Hause fühlen könnte. Die Umstände müssen einfach stimmen. Damit meine ich eben, dass einem die Familiensituation so passt, wie sie ist, man gute Freunde hat, man mit dem Alltag zufrieden ist und so weiter. Viele Faktoren spielen zusammen.Eine "richtige" Antwort, die auf alle zutrifft, gibt es - wie bei den meisten philosophischen Fragen - keine. Aber jeder kann die Antwort für sich persönlich finden.
Alles Liebe,
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